Die Deutsche Bahn (DB) will künftig auf das Anschreiben im Bewerbungsprozess um einen Ausbildungsplatz verzichten. Ab Herbst diesen Jahres soll es möglich sein, über eine Online-Plattform nur noch Lebenslauf und Zeugnisse einzureichen. Jobcoach Michael Kurt Bahr, seit mehr als 13 Jahren im individuellen Jobcoaching und Bewerbungstraining tätig, bewertet diesen Zug der DB im Interview.

Herr Bahr, wie haben Sie die Meldung aufgenommen, die Deutsche Bahn werde zukünftig auf das Anschreiben bei einer Bewerbung verzichten?
Zunächst war ich überrascht, denn die Deutsche Bahn ist ja kein mittelständisches Unternehmen aus der Region, sondern mit über 323.000 Vollzeitbeschäftigten einer der größten Arbeitgeber Deutschlands. Diese Entscheidung ist meiner Meinung nach eine strategisch geplante und der Erfolg dieser Maßnahme wird sich in den zukünftigen Bewerberzahlen widerspiegeln.
Bedeutet dies ein generelles Umdenken im Bewerbungsprozess?
Nein, das würde ich nicht sagen. Hier geht es ja in erster Linie um die Vergabe von Ausbildungsplätzen, die meist auf drei Jahre Ausbildungszeit begrenzt sind. Danach entscheidet die DB, ob es für die Auszubildenden berufliche Perspektiven im Unternehmen gibt. Da spielen Leistung, Persönlichkeit und Können in der Praxis eine Rolle, als auch das Notenergebnis in der Theorie.
Das Argument für diesen Schritt (Verzicht auf das Anschreiben) ist laut DB eine Vereinfachung des Bewerbungsprozesses. Wie sehen Sie das?
Es wird der Bewerberin/dem Bewerber auf jeden Fall leichter gemacht, sich mit nur wenigen Klicks per Online-Formular und Dateien-Upload von Lebenslauf und Schulzeugnis zu bewerben. Das ist aus Sicht der Bewerber motivierend.
Und aus Sicht der Deutschen Bahn…?
…kann man sich sicher sein, das quantitative Ziel durchaus zu erreichen. Aber das qualitative Ziel könnte dabei auf der Strecke bleiben.
Welches qualitative Ziel wäre das?
Das Anschreiben ist quasi die Kür der ganzen Bewerbung. Aus diesem lesen Personaler zum einen, wie gut eine Bewerberin/ein Bewerber sich auf die ausgeschriebene Stelle eingelassen hat, indem sie/er insbesondere die eigenen Qualifikationen – in Abgleich mit dem Anforderungen im Stellenprofil – hervorhebt. Zum anderen wird das Bewerbungsschreiben ja nicht umsonst Motivationsschreiben genannt. Und diese ist ebenfalls aus den Zeilen herauszulesen. Da es sich wie gesagt um Ausbildungsplätze handelt, wird der Bewerberkreis sehr jung und generell ohne jegliche praktische Berufserfahrung sein.
Welche Bedeutung hat das Anschreiben in Ihren Augen?
Als Jobcoach ist man beinahe täglich mit der Analyse und Optimierung von Bewerbungsunterlagen im Bewerbungstraining beschäftigt. Für meine Klienten stellt die Aufwertung ihrer Unterlagen eine gute Möglichkeit der Reflexion dar, die Anforderungen an ein Stellenprofil mit dem eigenen Können zu vergleichen und zu bewerten. An der Art der Aufmachung und des formulierten Inhalts eines Anschreibens lassen sich allerdings noch weitere Dinge feststellen.
Die da wären?
Das Layout zum Beispiel. Ist ein Bewerbungsanschreiben sehr gut gestaltet, sind der Bewerberin/dem Bewerber eine kreative Begabung und EDV-Kenntnisse zuzuschreiben. Gute bis sehr gute Sprachkenntnisse liest man anhand der Rechtschreibung. Gliederung und Satzbau hingegen lassen leicht auf Textzeilen per copy & paste oder auch ein schlummerndes Schreibtalent schließen.
Warum geht die Deutsche Bahn diesen Weg?
Mitunter waren die Bewerberzahlen in den vergangenen Jahren rückläufig – Stichwort: Fachkräftemangel. Um diesem Abwärtstrend entgegenzuwirken, müssen Hürden abgebaut und der Bewerbungsprozess vereinfacht werden. Digitalität und Mobilität sind auch hier die Schlüsselwörter bei der Personalgewinnung.
Allein 19.000 neue Mitarbeiter, darunter 3.600 Auszubildende, plant die Deutsche Bahn in diesem Jahr einzustellen. Bei der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz reichen künftig Lebenslauf und Zeugnis aus – ein Anschreiben ist nicht mehr nötig.
» Karriereportal der Deutschen Bahn

Michael Kurt Bahr ist Jobcoach und Geschäftsführer der BAHR Bildungsträger UG (haftungsbeschränkt). Er studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seit 2007 arbeitet er als freiberuflicher Dozent für Betriebswirtschaftslehre, Politische Bildung und Geschichte. Als Jobcoach ist er seither für private Bildungsträger tätig. Im Jahr 2012 gründete er das Büro Bahr in Weimar, ein individuelles Beratungsangebot für Arbeitslose und Arbeit suchende Menschen.